Entwicklung der europäischen Kampfkünste – Versuch einer Periodisierung
In dieser Periodisierung lehnen wir uns im Sinne einer internationalen Standardisierung an die Auffassung der „International Master at Arms Federation” an. Unsere Einteilung ist nur als grober Anhalt zu verstehen, da es unmöglich ist, genaue zeitliche Grenzen zwischen den einzelnen Perioden zu ziehen.
Vorgeschichtliche Periode (bis 1300)
Zu den ältesten Belegen einer systematischen Kampfkunst gehören die Wandmalereien in den Gräbern von Beni Hassan (Ägypten, 20. Jh. v. Chr.), auf denen hunderte von Ringerstellungen abgebildet sind. Für Europa gibt es zahlreiche Text- und Bildquellen ab der griechischen Antike, die einen geregelten Kampfkunstunterricht belegen. Ringen, Boxen und Pankration gehörten zu den beliebtesten Wettkämpfen der Olympischen Spiele der Antike (ab dem 6. Jhd. v. Chr. ein überregionales Ereignis). Und der römische Schriftsteller Vegetius (Ende 4. Jhd. n. Chr.) berichtet über das Waffentraining des römischen Militärs, während die Gladiatoren in eigenen Schulen ausgebildet wurden.
Verschiedenste Quellen weisen darauf hin, dass auch in den darauf folgenden Jahrhunderten der Unterricht in verschiedenen Kampfkünsten geordnet durchgeführt wurde: So werden in hochmittelalterlichen Epen, beispielsweise dem Rolandslied, schon „Schirmmeister“ also Fechtmeister genannt (ahd. „scirmen“: schirmen, schützen, verteidigen; auch als Synonym für: fechten, kämpfen). Das Gudrunlied (ca. 1230) erwähnt einzelne „Schirmschläge“, die als Hinweis auf systematisierte Kampftechniken gedeutet werden.
Leider gibt es für alle diese frühen Kampftechniken keine direkten technischen Beschreibungen, die es uns erlauben würden sie verlässlich zu rekonstruieren. Das erste Fechtbuch, das uns dies ermöglicht, ist das erwähnte I.33.
Frühe historische Periode (14.-15. Jahrhundert)
Aus dem Spätmittelalter stammen die ältesten uns bekannten Fechtbücher. Die Entwicklung des spätgotischen Harnischs brachte eine neue Kampfweise mit sich, bei der das Schild zunehmend an Bedeutung verliert. Ab 1350 setzt sich das zweihändig geführte „Lange Schwert“ immer mehr durch, interessanterweise auch beim Bloßfechten ohne Rüstung. Eine weitere Hauptwaffe der Fechtbücher ist das ab dem 14. Jahrhundert nachweisbare Lange Messer. Darüber hinaus wurde auch eine Vielzahl anderer Waffen kunstgerecht unterrichtet. So wird zum Beispiel der Umgang mit Stange, Mordaxt und Lanze, aber auch der Dolchkampf und das Ringen ausführlich erläutert. In seiner Blütezeit wurde das Lange Schwert vor allem bei Ordalen (gerichtlichen Gottesurteilen) und als Beiwehr (Zweitwaffe) auf dem Schlachtfeld verwendet. Als militärische Hauptwaffe setzte sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts die mit Stangenwaffen bewaffnete Infanterie gegen die bisher übermächtigen Ritterheere durch.
Diese frühe historische Periode stellt zur Zeit das Hauptbetätigungsfeld des Vereins Ochs – historische Kampfkünste e.V. dar.
Mittlere historische Periode (16. Jahrhundert)
Mit dem Beginn der frühen Neuzeit kommt das Rapier auf und setzt sich im Laufe des 16. Jahrhunderts zunehmend durch. Zunächst handelt es sich noch um eine Waffe, die für Hieb und Stich gleichermaßen geeignet ist, später wird es fast zu einer reinen Stichwaffe. Es wird auch üblich, im Zivilleben ständig eine Waffe bei sich zu tragen. Daraus resultierend kommt es immer häufiger vor, dass private Streitigkeiten mit der Waffe in der Hand ausgetragen werden. Das Duell(un)wesen beginnt um sich zu greifen.
Typische Waffen dieser Periode in Deutschland sind das Rapier und das Reitschwert, der Dusack und die Stange. Das Lange Schwert wird weiterhin unterrichtet, aber hauptsächlich um fechterische Grundlagen zu schulen und um Schau- und Wettkämpfe durchzuführen. Hierfür wurden stumpfe Fechtschwerter, heute häufig „Feder“ oder „Federschwert“ genannt, als Übungs- und Sportwaffe verwendet. Ebenso sind hölzerne und lederne Dusäcken belegt. Das Fechten scheint zu einem bürgerlichen Breitensport zu werden: Der rasante Aufstieg der Marxbrüder und Federfechter (Vereinigungen von Fechtern und Fechtmeistern) zu privilegierten, reichsweiten Gilden legt hiervon Zeugnis ab.
In den Kriegen der Landsknechtszeit setzen sich Feuerwaffen gegenüber den Pikenhaufen immer mehr durch. Das Lange Schwert entwickelt sich zum prestigeträchtigen größeren Schlachtschwert. Als Zweitwaffe für den Nahkampf ist der einhändig geführte Katzbalger sehr verbreitet.
Späte historische Periode (17.-18. Jahrhundert)
Das Rapier wird immer kürzer und entwickelt sich schließlich vorwiegend aufgrund modischer Einflüsse zum Galanteriedegen, auch bekannt als Hofdegen. Mit dieser leichten neuen Waffe ändert sich auch immer mehr die Fechtweise. Während in früheren Zeiten darauf geachtet wurde, Abwehr und Gegenangriff in einer Bewegung zu führen, wird nun die Parade-Riposte üblich. Auch die Trennung von Stoß- und Hiebfechten setzte etabliert sich. Das Florett wird als Übungswaffe für das Stoßfechten mit dem Hofdegen entwickelt.
Während des Dreißigjährigen Krieges kommt der Säbel (wieder) nach Mitteleuropa, welcher Ende des 17. Jahrhunderts auch bei der Infanterie Einzug hält. Neben den sich ständig weiter entwickelnden Feuerwaffen, wird die Bedeutung der Blankwaffen beim Militär immer geringer.
In dieser späten historischen Periode entwickeln sich in England mit dem „pugilism“ (Bare-Knuckle-Boxing) die Grundlagen des modernen Boxens. Aber auch anderswo in Europa tauchen mehr und mehr waffenlose Selbstverteidigungs- oder Kampftechniken auf, die mehr als bisher mit Schlägen und Tritten arbeiten. Beispielsweise werden im 18. Jahrhundert die Grundlagen des „Savate“ (französisches Kickboxen – „savate“ frz. für „abgetragener Schuh“) gelegt. Ebenfalls zu nennen ist das Werk „Worstel-konst“ von Nicolaes Petter (Amsterdam, 1674), das viele heute noch aktuelle Selbstverteidigungstechniken enthält.
Klassische Periode (19. Jahrhundert)
Da sich das Fechten mit dem Florett immer mehr von der tatsächlichen Duellpraxis entfernt, entwickelt man in Frankreich das moderne Degenfechten. Hier gilt auch bei Übungsgefechten wieder der ganze Körper als Trefferfläche, während beim Florett, wie auch heute noch, die Trefferfläche auf den Torso beschränkt ist. Dazu trägt natürlich auch bei, dass die im vorausgegangenen Jahrhundert entwickelte Drahtgittermaske nun allgemein akzeptiert wird. In dieser Periode werden die Grundlagen des modernen Sportfechtens gebildet, das im Jahr 1896 zu einer der Gründungssportarten der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit wird.
Da man im Zivilleben üblicherweise keinen Degen mehr bei sich trägt, wird die Wahrscheinlichkeit immer geringer, die fechterischen Fähigkeiten tatsächlich anwenden zu müssen. Viele zivile Fechtmeister lehren daher nun auch den Umgang mit dem Spazierstock oder auch dem Regenschirm. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entsteht daraus das „Bartitsu“. Daneben entwickelt sich auch das Savate und das Boxen weiter. Bei letzterem setzen sich langsam die neuen Regeln durch, die u.a. den Kampf mit Handschuhen im Ring vorschreiben.
In den Armeen wird das Fechten mit dem Säbel und dem Bayonett unterrichtet.
Ein ausführlicher Artikel über die Geschichte der Fechtkunst in Deutschland findet sich hier als PDF.