Geschichte

Europa hat eine sehr alte Kampfkunsttradition. Allerdings gerieten die alten Kampftechniken bei uns weitgehend in Vergessenheit bzw. entwickelten sich fort zum modernen Sportfechten, Ringen oder Boxen. Seit Anfang der 90er Jahre existiert eine Szene, die versucht diese Kampfkünste zu rekonstruieren. Sowohl das Rekonstruieren selbst als auch dessen Ergebnis nennt man historische europäische Kampfkünste“ oder auch „historisches Fechten“.

Fechtaktion aus dem Dürer-FechtbuchGrundlage hierzu sind historische Quellen: die so genannten Fechtbücher. Die Bezeichnung „Fechtbücher“ ist nach heutigem Sprachverständnis etwas irreführend, denn diese enthalten ein komplettes System bewaffneter und unbewaffneter Techniken. Das englische Wort „fight“ kommt der ursprünglichen Bedeutung von „fechten“ näher als die heutige, die vom modernen Sportfechten belegt ist.

Wer heute historische Kampfkünste trainiert versucht also Kampftechniken zu rekonstruieren, die nicht direkt überliefert wurden. Wie bei jeder Kampfkunst wurden diese dafür entwickelt einen Gegner möglichst schnell und effektiv kampfunfähig zu machen. Damit unterscheidet sich historisches Fechten (wie auch das Training anderer Kampfkünste) erheblich vom Szenischem Fechten („Showkampf“), Reenactment, Liverollenspiel („LARP“) aber auch vom modernen am Wettkampf orientierten Sportfechten.

Der Begriff „Kampfkunst“ wird in den deutschen Fechtbüchern sinngemäß auch so verwendet („kunst des langen swertz“). Der von Aristoteles geprägte Kunstbegriff des späten Mittelalters beschreibt – im Gegensatz zu heute – eine eher handwerkliche Befähigung oder Meisterschaft („Kriegshandwerk“).

Da die historischen europäischen Kampfkünste einen weiten Zeitraum und zahlreiche Disziplinen umfassen, haben sich die meisten Vereine und Gruppen ein oder mehrere Spezialgebiete herausgesucht. Der Schwerpunkt von Ochs – historische Kampfkünste e.V. liegt auf den deutschsprachigen Quellen des späten 14. bis 16. Jahrhunderts, also vor allem der Lehre Liechtenauers mit dem Langen Schwert und Johannes Lecküchners mit dem Langen Messer.

Fechtbücher – die historischen Quellen

Mit dem Begriff „Fechtbuch“ bezeichnet man systematische, konkrete Beschreibungen von Kampftechniken in geschriebener und/oder gezeichneter Form. Dabei kann es sich um Fragmente, prachtvolle Handschriften, einfache für den Eigengebrauch bestimmte Hausbücher aber, in späterer Zeit, auch um in größerer Auflage gedruckte Werke handeln.

Doppelseite des Fechtbuchs HS 3227aDie Fechtbücher sind natürlich nie ganz in Vergessenheit geraten. Historiker haben sich schon früh mit diesen beschäftigt. Dies hatte jedoch meist einen kunsthistorischen oder sprachwissenschaftlichen Hintergrund. Erste Versuche Kampftechniken zu rekonstruieren gab es um 1900 in England, Deutschland, Frankreich und Österreich. Diese Bewegung starb jedoch mit ihren Protagonisten auf den Schlachtfeldern der beiden Weltkriege. Erst in den 1970er Jahren wurden wieder Techniken aus alten Fechtbüchern für den Showkampf in Film, Fernsehen und Theater aufgearbeitet. Dies geschah besonders im Umfeld von Shakespeare-Aufführungen mit zeitgenössischen Rapiertechniken. Die Rekonstruktion als Kampfkunst begann erst später und mündete seit Mitte der 90er Jahre in der Gründung verschiedener Gruppen und Vereine in Europa, Nordamerika und Australien.

Interpretation

Ohne Übung fällt es heute schwer die mittelalterlichen Schriften zu entziffern. Das Verständnis der Sprache (z.B. Mittelhochdeutsch, Frühneuhochdeutsch) ist die nächste große Hürde. Selbstverständlich benutzen wir beim Training keine originalen Fechtbücher. Eine gute Arbeitsgrundlage sind „Transkriptionen“, also moderne Umschriften der historischen Texte. Solche sind mittlerweile in großer Zahl als Bücher und im Internet veröffentlicht. Übersetzungen ins Neuhochdeutsche oder in andere moderne Sprachen sind zwar für den Einsteiger wesentlich leichter verständlich, allerdings entfernt sich dabei der Text – durch die notwendige Interpretation des Übersetzers – immer etwas vom Original.

Die Interpretation von Bildern scheint auf den ersten Blick wesentlich einfacher. Allerdings ist die Rekonstruktion einer ganzen Bewegungsabfolge aus einem einzigen Bild oft mehr als schwierig. Dabei ist auch eine angemessene Quellenkritik gegenüber den Darstellungen notwendig: Künstler waren immer ästhetischen und darstellerischen Konventionen unterworfen. Diese betreffen sowohl die Darstellung der kämpfenden Personen selbst, aber auch die Wiedergabe des Raumes (Distanz, Perspektive und Ansichtswinkel). Eine Kombination von Bild mit ausführlichem Text kommt bei den alten Fechtbüchern leider nur sehr selten vor.

Wichtige Werke

Stichschlag aus dem Fechtbuch I.33Das älteste bisher bekannte Fechtbuch ist das MS I.33 (sprich: „eins dreiunddreißig“) auch „Towerfechtbuch“ genannt, das um 1300 – 1320 in Süddeutschland verfasst wurde. Es behandelt den Umgang mit Einhandschwert und Buckler (einem kleinen Faustschild).

Von 1389 stammt die „Nürnberger Handschrift“ (Ms. 3227a, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg), die oft fälschlich als „Döbringer-Hausbuch“ bezeichnet wird. In diesem Manuskript ist erstmals die Lehre des Fechtmeisters Johannes Liechtenauer festgehalten, welche dann bis ins 17. Jahrhundert überliefert wird. Diese Lehre umfasst den Umgang mit dem zweihändig geführten Langen Schwert zu Fuß, dem Kurzen Schwert mit Harnisch, zu Fuß und zu Pferd, sowie Techniken anderer Meister zum Dolch, Langen Messer, Ringen und weiteren Disziplinen.

Szene aus dem Fechtbuch von Fiore dei LiberiEtwa zur selben Zeit schrieb der italienische Meister Fiore dei Liberi de Premariacco sein „Flos Duellarum“ (lat.: „Blume des (Zwei-)Kampfes“), welches als Vorarbeit für den 1409 fertig gestellten prachtvollen Codex „Fior di Battaglia“ (ital.: „Die Blume des Kampfes“) diente. Auch dieses Werk umfasst das zweihändige Schwert, den Dolchkampf sowie die waffenlose Verteidigung gegen bewaffnete und unbewaffnete Angreifer.

Ein weiteres wichtiges Werk ist die Messerfechtlehre des Johannes Lecküchner (zwei Werke von ca. 1478 und 1482). Die besondere Bedeutung dieses in der Liechtenauertradition stehenden Werkes ist die schiere Menge, der darin enthaltenen Techniken: Mit über 400 größtenteils bebilderten Seiten ist es eines der ausführlichsten Fechtbücher. Die Münchner Version seiner Handschrift zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass sie auf ausgezeichnete Weise Bilddarstellung mit ausführlichem, erklärendem Text verbindet.

Fechten mit Rapier und DolchAb dem 16. Jahrhundert tauchen in Europa vermehrt Fechtschriften für den Umgang mit dem Rapier auf. Schließlich lassen sich auch militärische Handbücher des 18., 19. und sogar des frühen 20. Jahrhunderts sowie die Selbstverteidigung mit dem Spazierstock als Quellen für historische Kampfkünste heranziehen.

Ein ausführliches Fechtbuchverzeichnis findet sich hier.

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