Rückblick: Besuch des Bayerischen Nationalmuseums (November 2021)
Der Kunsthistoriker Dr. Wolfgang Urbanczik gab in seiner ersten Führung für unseren Verein spannende Einblicke in das Bayerische Nationalmuseum in München und in die Ursprünge der hier seit 1900 beherbergten Sammlung. Immer wieder betonte er in seinen Erläuterungen die Organisation, Strukturierung und Inszenierung von Wissen – sowohl hinsichtlich der ausgestellten Objekte als auch in Bezug auf die extra dafür realisierten Ausstellungsräume.
In besonderer Erinnerung bleibt mir – neben der Sammlung von Ritterrüstungen und Schwertern, die selbstverständlich eine eigene Führung wert ist – die Augsburger Weberstube, die komplett von ihrem Ursprungsort Augsburg nach München gebracht und dort akribisch in einem eigenen Museumsraum wieder aufgebaut wurde. Wir haben uns in diesem Rundgang also strenggenommen auf einer räumlich inszenierten Bühne bewegt, die sich konzeptuell nicht nur mit den Kernfragen der jeweiligen Zeit der ausgestellten Objekte beschäftigt, sondern auch immer auf heutige Fragestellungen bezogen hat. Allgemein besonders gelungen finde ich bei einem Besuch des Bayerischen Nationalmuseums die vielen Möglichkeiten, die sich unserer Betrachtung darbieten: So ist es hier z.B. überhaupt kein Problem, über historische Zusammenhänge und rein künstlerische Fragestellungen hinaus eine kleine fantasievolle Zeitreise in längst vergangene Tage zu machen. Diese sehr nachhaltigen Eindrücke lassen sich immer wieder neu erfahren und kombinieren. Der Gedanke der modellhaften Darstellung ist übrigens im letzten Raum des 1. Stockwerks voll auf den Punkt gebracht: Hier wird z.B. die Stadt München als Modell gezeigt, im ersten Stadtmodell überhaupt.
Unser Rundgang führte uns nun chronologisch von der Antike (Elfenbeintafel, sog. Reidersche Tafel) bis zu den Anfängen der Renaissance. Daran ließe sich nahtlos in einer weiteren Führung im kommenden Jahr durch das 2. Stockwerk anknüpfen. Ansonsten wäre der Rahmen dieser Führung bei weitem gesprengt worden, da wir wirklich viele interessante Ausstellungsstücke genauer betrachtet und im Dialog diskutiert haben.
Bevor wir jedoch in die eigentlichen Ausstellungsräume gelangt sind, ging es bereits im Eingangsbereich (nach dem Foyer) richtig zur Sache und zwar auf einem etwas versteckten Steinrelief. Bei diesem Relief ist ein ritterlicher Herrscher gezeigt, der auf einem besiegten, am Boden liegenden türkischen Krieger mit einem Bein thront. Die Darstellung zeigt bereits ausdrücklich naturalistische und symbolische Darstellungsformen, durch die man bei der Betrachtung auf spielerische Weise – quasi wie in einem eigenen Kopfkino – in eine historische, aber auch persönliche Geschichte eintauchen kann, auch ohne geschichtliche Vorkenntnisse.
Ein paar Meter nebenan beim Treppenaufgang beeindruckte uns die Darstellung zweier kämpfender Ringer von Massimiliano Sodani Benzi (Florenz, um 1710) in ihrer dynamischen barockhaften Umsetzung. Die Skulptur vermittelt durch ihre Darstellung der Körper und der kraftvollen Bewegung den Eindruck, dass man im Moment der Betrachtung den eingefrorenen Moment eines Kampfes erlebt. Benzis Skulptur verzichtet auf jegliche erklärende zusätzliche Accessoires, ganz im Gegensatz zum zuvor gesehenen Steinrelief, ganz so, als ob es sich auch um einen zeitgenössischen Wettstreit handeln könnte.
Als „pars pro toto“ – also als Teil, der stellvertretend für ein Ganzes steht – betrachteten wir dann das Haupt Johannes des Täufers in der sog. Johannesschüssel. Die isolierte Darstellung des Kopfes hat bei mir einen durchaus bleibenden Eindruck hinterlassen. Johannes galt als Wegbereiter und Mentor Christi. So war er auch der beste Freund von Jesus. Ebenfalls eng befreundet waren die Mütter der beiden, Maria und Elisabeth, so dass im Grunde alle wie in einer glücklichen Familie verbunden waren. Der Tod des Johannes ereignete sich auf Befehl von Herodes, nachdem Salome das Haupt des Täufers gefordert hatte.
Bezüglich der Namensgebung unseres Vorstandes unseres Vereinsstandortes München merkte anschließend Karin vor einer gemalten Darstellung der Hl. Katharina an, dass ihr eigener Name von Katharina stammt. Die gezeigten Figuren und zugehörigen Geschichten wirken also auf ihre Weise bis in die heutige Zeit fort und begleiten uns mit ihren Namen ganz persönlich.
Das auf der Katharinendarstellung zu sehende zerbrochene Rad spielt auf das Martyrium der Heiligen an, ihr Schwert auf den Märtyrertod. Als symbolischer Verweis auf das überstandene Gräuel steht es zudem für das „Gute“ bzw. „Gerechte“.
Zu den beiden Polen „Recht“ und „Gerechtigkeit“ betrachteten wir abschließend eine Figurendarstellung der Judith, die im Gegensatz zu Salome die Enthauptung ihres Gegenübers selbst ausgeführt hat.
Als wiederkehrendes Motiv – neben den Schwertern und Rüstungen – begegneten wir immer wieder dem Hl. Georg, auch „Drachentöter“ genannt. Einige Darstellungen ließen uns schmunzeln, da z.B. der Drache auch niedliche Züge und der Hl. Georg auch feminine bzw. androgyne Züge annehmen durfte (siehe Foto: Hl. Georg mit dem Drachen, wohl Salzburg, um 1390/1400, Gotik).
Eine der vielen Geschichten zum Hl. Georg besagt, dass der Erzengel Michael, der oft mit Luzifer dargestellt ist, den Hl. Georg immer wieder zusammengesetzt hat, nachdem dieser in Stücke gerissen wurde. Eine andere Geschichte klingt wie ein Rittermärchen: Als die Königstochter einem Drachen geopfert werden sollte, um diesen zu beschwichtigen, trat Georg als Retter in Erscheinung. Getötet wurde der Drache aber erst, nachdem alle Bürger getauft waren.
Von den vielen Malereien, die wir uns angesehen haben, möchte ich schließlich noch ein Bild herausgreifen und symbolisch erläutern, da es besonders gut in die jetzige weihnachtliche Zeit passt: Die Anbetung der Heiligen Drei Könige (Konstanz, um 1430/40, sog. Meister des Improperienbildes).
Hier – und in jeder Krippendarstellung – steht der Esel für die Heiden, der Ochse für die Juden, also das Alte Testament. Nur der Ochse ist deshalb immer mit Blickrichtung zum Christuskind dargestellt.
Die Geschenke der Hl. Drei Könige sind Gold, Weihrauch und Myrrhe. Sie stehen symbolisch für Gott, den Herrscher und den sterblichen Menschen. Vereint und personifiziert sind all diese Aspekte im Christuskind.
In diesem Sinne wünsche ich Euch eine schöne weihnachtliche Zeit und freue mich auf ein gesundes Wiedersehen.
Autor: Robert Weissenbacher, München, den 9.12.2021